Was wäre OHNE Stress???

Wo auch immer man hinhört – Stress ist ein Dauerthema. Er lauert offenbar überall und scheint uns enorm viel Ärger zu machen und unserer Gesundheit übel mitzuspielen. Für viele ist er daher der Feind schlechthin. Man geht stressigen Situationen lieber aus dem Weg und vermeidet sie. Entschleunigung als Zauberwort, um voranzukommen. Entwicklung  braucht offenbar Stillstand. Irgendwie paradox, aber es wird in sämtlichen Ratgebern empfohlen. Stress ist schlecht – wir brauchen Entspannung und Erholung.

Natürlich können Über- und Unterforderung auf Dauer negative gesundheitliche Folgen haben, aber an dieser Stelle möchte ich mal eine Lanze FÜR den Stress brechen. Beim Stressmanagement geht es nicht darum, KEINEN Stress mehr zu haben, sondern mit den Anforderungen, die an uns gestellt werden so umzugehen, dass wir handlungs- und leistungsfähig bleiben.

Stress ist absolut nichts Negatives – genau genommen ist es sogar ein überlebenswichtiger Anpassungsmodus unseres Körpers auf äußere Beanspruchungen und somit eine von der Natur in uns angelegte, sehr nützliche Programmierung. Seit der Steinzeit haben sich die körperlichen Mechanismen und Reaktionen auf äußere Beanspruchung nicht mehr verändert. Körperlich gesehen laufen wir unter entsprechender Beanspruchung erst zu Hochformen auf und werden situationsspezifisch leistungsfähiger. Stress führt zu einer geistigen Aktivierung und einer erhöhten Muskelanspannung. Wir wägen in kürzester Zeit die beste Strategie ab. Hätten unsere Vorfahren also kein Stressempfinden gehabt, wären etliche dem Säbelzahntiger zum Opfer gefallen. Wenn wir unseren Körper und seine Muskeln über Gebühr beanspruchen, ihn also stressen, sorgen wir tatsächlich auch für Wachstum. Nach der Belastung repariert unser Körper, die malträtierten Stellen. Die Muskelfasern verbreitern sich, weil zusätzlich Proteine als Anpassung an die Mehrbelastung eingelagert werden. Es ist also letzten Endes der Stress, der dazu beiträgt, dass das Wachstum unserer Muskeln in Herz oder Oberschenkel  angeregt wird und uns somit ermöglicht, ausdauernder und im Endeffekt tiefenentspannter zu werden.

Der entscheidende Unterschied liegt allerdings in der Dauer der Beanspruchung. Während Stress früher nur als kurzfristiges Ereignis zu verstehen war, um bei entsprechender Gefahr zu fliehen oder kämpfen, ist er inzwischen zu einem herbeigeführten Dauerzustand geworden. Zu viel des Guten ist aber wie überall – schlecht. Wer seinen Körper und seinen Geist permanent über die rote Linie treibt, muss mit chronischen Folgen rechnen. Einzelne stressige Erlebnisse oder temporär stressige Phasen beeinträchtigen unseren Körper und Geist hingegen nicht sonderlich langfristig.

Gar kein Stress ist also auch keine Lösung. Ohne Stress gäbe es nämlich auch weniger Leistung. Zur Entwicklung brauchen wir ihn also – den Stress. Allein die Dosis ist entscheidend. Und in diesem Punkt sind wir alle verschieden. Der eine braucht mehr Stress und sucht ihn selbst nach einem vollen Arbeitstag im Fitnessstudio beim Sport, um danach den Organismus runterzufahren. Der andere setzt gleich auf Ruhe und Besonnenheit und meditiert oder entspannt beim Spaziergang. Egal, welchen Weg wir gehen – Hauptsache ist, dass wir einen Ausgleich finden und die verschiedenen Bereiche unseres Lebens und deren spezifische Anforderungen an uns ausbalancieren können, um zu entspannen.